Maskulinität in der Zeitgenössischen Literatur

Maskulinität in der Zeitgenössischen Literatur. Männerfiguren und Satire in Johanna Adoráns Ciao (2021) 

Owen Meunier


Abstract

In diesem Beitrag werden die verschiedenen männlichen Charaktere aus Johanna Adorjans Roman Ciao (2021) untersucht, und es wird argumentiert, dass der Roman zwar die Gefahren der traditionellen Männlichkeit aufzeigt, aber auch ein sich entwickelndes Spektrum der Männlichkeit. Während der Roman die Satire nutzt, um das traditionelle Männerbild zu konterkarieren, persifliert er auch die Figur des neuen, „weiblicheren“ Mannes und führt den Leser zu der Frage, ob es eine Alternative zum traditionellen Mann oder Männerbild gibt.    


Beschreibung der verschiedenen Männer im Buch und die Benutzung von Satire

Veränderungen in der Rolle der Männer in der Gesellschaft und in der Kultur finden auch ihre Repräsentation in der zeitgenössischen Literatur. Ciao ist ein zeitgenössischer Roman, der 2021 von Johanna Adorján geschrieben wurde. Der Roman handelt von der Komplexität der Identitäten und er stellt das Leben einer Familie im 21. Jahrhundert dar. Die Benedek Familie wohnt in Berlin, eine der liberalsten Städte der Welt (Ritchie), und der Vater der Familie, Hans, lernt wie man sich an die zeitgenössische Kultur anpasst. Adorján präsentiert moderne Themen wie die „Me Too“ Bewegung, radikalen Feminismus und Maskulinität. Die Autorin kritisiert misogyne Männer und radikale feministische Frauen durch Satire. Dieser Beitrag argumentiert, dass der Text durch seine Behandlung verschiedener zeitgenössischer Themen die Leser für aktuelle gesellschaftliche Themen sensibilisiert und Adorján die Idee zeitgenössischer Maskulinität im Roman diskutiert. Die Autorin übermittelt ihre Botschaft anhand von Beispielen, mit denen sich die Leser identifizieren können. Adorján vermittelt durch ihre Charakterisierung männlicher Figuren eine wirkungsvolle Botschaft, die zum Nachdenken anregt. Die zentralen Botschaften des Romans sind die Gefahren des traditionellen Mannes und die Herausforderungen, vor denen Frauen in der heutigen Kultur stehen.

Adorjáns Roman legt nahe, dass Maskulinität ein Spektrum ist. Ihre verschiedenen Repräsentationen von Männern demonstrieren dieses Spektrum und die Evolution der Maskulinität in der zeitgenössischen Kultur. Im Roman präsentiert sie drei Versionen des traditionellen Mannes: Hans Benedek, Michael Denninger und Walter Windisch, die „weiße und alte Männer“ sind. Laut der Meinung Walter Hollsteins besteht die traditionelle Männerrolle „vor allem aus Erfolg, Leistung, Härte, Macht, Distanz, Konkurrenz und Kampf“ (Hollstein 2). Auf der anderen Seite präsentiert die Autorin Lothar Herzig als einen neuen zeitgenössischen Mann. Der Meinung Franz-Joseph Königs gemäß wird der neue Mann weiblicher. Er schreibt „das alte Männerbild vom starken, auf Leistung und Status ausgerichteten Mannes bröckelt immer mehr. Das öffentliche Leben, bisher eine Domäne der Männer, wird weiblicher“ (König). In diesem Kontext bedeutet ‚weiblich‘ stereotypische weibliche Eigenschaften und ist das Gegenteil des alten Männerbilds, das König beschrieben hat.

Hans Benedek ist die Hauptfigur des Romans. Er schreibt als Feuilletonist bei „Die Zeitung“. Hans ist nicht nur ein wichtiger Mann in seinen Kreisen (Liebich 2023), sondern auch ein angesehener Feuilletonist und wird als einflussreich dargestellt. Er wird zu exklusiven Veranstaltungen z.B. im Auktionshaus eingeladen, was seinen Einfluss und Status in der Stadt zeigt. Hans ist herablassend gegenüber seinen romantischen Partnern: seiner Frau, Henriette und seiner Freundin, Nicki. Zum Beispiel sagt er „Du bist blöd“ zu seiner Frau, Henriette (Adorján 38). Er macht diesen Kommentar während eines Gesprächs, in dem das Ehepaar über Henriettes Treffen mit Xandi Lochner spricht. Xandi ist eine neue Ikone des Feminismus und sie wollte sich mit Henriette treffen, weil sie ein Fan Henriettes Buchs ist. Hans ist interessiert daran, dass seine Frau sich mit Xandi getroffen hat und er hat Fragen zum Treffen, aber Henriette will seine Fragen nicht beantworten, was ihn frustriert. Aufgrund ihrer ausbleibenden Reaktion hat Hans seine Frau blöd genannt. Sprache ist mächtig und sie kann offenbaren, wie man eine andere Person wahrnimmt. Dieser Kommentar zeigt das Maß an Respekt, den Hans für Henriette und vielleicht für andere Frauen hat. Respekt gegenüber Frauen ist nicht nur ein Problem für Hans, sondern der Machtmissbrauch Hans ist auch problematisch. Es gibt im Roman ein Beispiel von Machtmissbrauch, weil Hans eine Affäre mit einer Kollegin von ihm hat. Diese Kollegin heißt Nicki und sie arbeitet auch als Feuilletonistin. Die Beziehung ist sicherlich kompliziert, denn Hans und Nicki gehen zusammen aus, wenngleich Hans der Mentor von Nicki ist (Adorján 79). Die Idee, dass Männer mit Autorität eine Affäre mit einer Untergebenen haben, stammt aus der Vergangenheit, weil „durch die Geschichte hinweg Männer praktisch eine Lizenz zum Betrügen mit wenigen Konsequenzen und unterstützt von einem Wirt der biologisch-evolutionären Theorien“ hatten und für Männer der Akt von betrügen gerechtfertigt war (Perel 1:53). Hans and Nicki müssen zusammen am Xandi Lochner Projekt arbeiten, aber er will dieses Projekt kontrollieren. Sein Verhalten wurde von Xandi beobachtet, als sie einen Tweet auf Twitter gepostet hat, in dem sie „Wenn der Journalist, der über dich schreibt, zuerst seine Kollegin ausbootet und einem dann nachts auf dem Hotelzimmer die Welt erklärt“ geschrieben hat (Adorján 248). Diese Aktion zeigt, wie Männer die weibliche Erzählung schreiben, ohne um den Input der Frauen zu bitten. Hans will die Erzählung kontrollieren, weil er denkt, dass er qualifizierter als Nicki ist. Er ist auch der Meinung, dass die Arbeit, die Nicki produziert, von einem niedrigeren Niveau an Raffinesse ist, was sexistisch ist. Diese Darstellungen verstärken, wie er Frauen wahrnimmt.

Michael Denninger ist eine andere wichtige männliche Figur im Roman. Er ist der Moderator von der bekannten Talkshow „Ois Bonanza“. In dem Kapitel, in dem Xandi Lochner ein Gast in seiner Show ist, teilt sie schädliche Informationen über Denninger mit dem Publikum. Wegen des unangemessenen Verhaltens Denningers am Ende der neunziger Jahre gegenüber Mareike Glockner wird Denninger von Xandi während der Show gecancelt. Glockner hat in der Vergangenheit mit Denninger zusammengearbeitet und sie behauptet, sie sei von ihm belästigt worden. Es scheint, als ob Xandi eine Agenda hat, weil sie vor der Talkshow viele Vorbereitungen getroffen hat (Adorján 161). Es ist klar, dass Xandi Denninger entlarven will. Xandi beschreibt, wie Denninger Mareike Glockner gegenüber in der Vergangenheit herablassend war. Frau Glockner hat sich folgendermaßen ausgedrückt „Für ihn war ich ein Blondinen-witz auf zwei Beinen“ (Adorján 162). Dieses Zitat verstärkt weiter, wie die traditionellen Männer generell Frauen wahrnehmen.

Überdies war Windisch der Kollege von Hans. Adorján hat Windisch als einen unsensiblen Mann dargestellt, was ein typisches Stereotyp eines traditionellen Mannes basierend auf der Definition Hollsteins ist. Es wird beschrieben, wie Windisch das N-Wort ausgesprochen hat (Adorján 237). Windisch sagt zu Hans: „Und Börne hat mich dann einen Rassisten genannt, weil ich das N-Wort ausgesprochen habe“, aber er erweckt den Eindruck, dass er die Ernsthaftigkeit seines Handelns nicht begreift. Windisch versteht die Implikationen dieses Wortes nicht, was seine Entlassung verursacht. Die Szene kritisiert die rassistischen Tendenzen des traditionellen Mannes. Dieses Beispiel zeigt, wie der Text sich über weiße Männer lustig macht. Der Text stellt aber auch die Frage, ob es eine Alternative zum traditionellen Mann gibt.

Lothar Herzig wird im Roman als ein neuer zeitgenössischer Mann vorgestellt. „Lothar Herzig arbeitete für ein Konkurrenzblatt als fester freier Mitarbeiter“ (Adorján 52). Hans trifft sich mit Lothar, „um ihn zu studieren“, weil Hans Lothar als einen neuen Mann wahrnimmt und Hans glaubt, dass er von seinen Verbindungen und seinem Wissen profitieren könnte, um seine Karriere zu verbessern. Hans ist fasziniert von den jungen Leuten und den neuen Trends, deshalb interessiert er sich für Lothar und sein Leben. Die Autorin stellt Lothar als das Gegenteil eines traditionellen Mannes dar. Die Figur Lothars ist sympathisch und offen. Lothar schreibt Tweets auf Twitter wie „Vergiss nicht: Dein Leben ist das Ergebnis deiner Handlungen. Handle mit Bedacht Lothar Herzig“ (Adorján 54). Dieser Kommentar kann sensibel und freundlich wahrgenommen werden und seine Figur wirkt entsprechend. Lothar ist sich der aktuellen Trends bewusst, obwohl es nicht klar ist, ob er diese Entwicklungen im Bereich der sozialen Gerechtigkeit wirklich unterstützt. Als Hans ihn fragt, ob sein Instagram Account ironisch sei, antwortet Lothar „man müsse den Leuten einfach geben, was sie wollten, das sei doch der Leitsatz unseres Jahrhunderts“ (Adorján 56). Es ist möglich, dass die Autorin die Unaufrichtigkeit der neuen Männer hervorheben möchte. Einerseits ist Lothar problematisch, weil er vielleicht nicht ehrlich mit seinen Intentionen ist. Andererseits kann er dazu beitragen, eine inklusive Kultur zu prägen. Insgesamt nutzt Lothar seine Plattform, um Positivität zu verbreiten, was produktiv für die Gesellschaft sein könnte.

Intention und Wirksamkeit der Satire

Die Beschreibung der traditionellen Männer im Text ist eine Repräsentation, die der Definition des traditionellen Mannes von Hollstein entspricht. Obwohl sowohl Männer als auch Frauen mit Genderstereotypen in Ciao dargestellt werden, erweitert die Autorin das Spektrum der Maskulinität durch ihre Darstellung Lothars. In diesem Beispiel entfernt die Autorin sich von Genderstereotypen, was wichtig ist, weil „Sozialisationsforschung zeigt, dass gerade für Heranwachsende Medien ein integraler Bestandteil beim Ausbilden von Geschlechter– und Gesellschaftsbildern sind … So geben die Medien – neben anderen Sozialisationsinstanzen – den Interpretationsrahmen vor, was ‚echte‘ … Jungen oder Männer sind“ (vom Orde 13).  Da Medien einen Einfluss auf die Menschen haben (Perse 25), ist Diversität in Literatur wichtig.

Satire ist ein häufiges Phänomen in der westlichen Literatur (Kreuz and Roberts 100) und kommentiert normalerweise die Gesellschaft, und in diesem Kontext kommentiert die Satire die traditionellen Männer (Kreuz and Roberts 102). Satire wird im Roman benutzt, um die Leser vor den Gefahren des traditionellen Mannes zu warnen. Die Autorin verspottet traditionelle Maskulinität und sie bietet eine Alternative, damit die Leser sich mit der alternativen Version des Mannes identifizieren können. Eine der Absichten ist den Lesern zu zeigen, dass Maskulinität ein Spektrum ist. Maskulinität hat keine starr festgelegte Bedeutung, sondern sie ist flexibel und sie kann sich verändern, um die Identität aller Männer einzubeziehen.

Der Roman beschäftigt sich mit komplexen und herausfordernden Themen wie Rassismus und sexueller Misshandlung, aber durch Satire werden die Themen des Romans weniger tragisch und dramatisch. Auf diese Weise können Autoren über komplexe Themen schreiben. Die Autorin schreibt über zeitgenössische Themen, mit denen die Menschen sich identifizieren könnten. Eine wichtige Intention der Autorin ist, die „Me Too“ Bewegung bekannt zu machen, um die Herausforderungen der arbeitenden Frauen und die sexuelle Belästigung gegenüber Frauen hervorzuheben. Die „Me Too“ Bewegung ist ein Weg, um männliche Täter zu entlarven. Es gibt Stellen im Roman, in denen Frauen von Männern nicht respektiert werden oder in denen das Thema der „Me Too“ Bewegung von der Autorin durch die Figuren des Romans diskutiert wird. Adorján möchte ausdrücken, dass die Gesellschaft Veränderungen in der Kultur braucht, um Frauen vor Belästigung zu schützen. Themen wie Misogynie und sexuelle Misshandlung sind allgegenwärtig, deshalb können die Darstellungen der Autorin den Lesern des Romans helfen, dessen Botschaft besser zu verstehen.

Der Schreibstil der Autorin ist fesselnd und die Satire im Text hilft mit dem Verständnis der Botschaft. Jede männliche Figur in Ciao spielt eine wichtige Rolle, um die Botschaft zu vermitteln. Einerseits erinnern Hans, Denninger und Windisch daran, dass Sexismus immer noch existiert. Andererseits ist Lothar ein Beispiel dafür, dass unsere Kultur und die Definition von Maskulinität sich entwickeln. Außerdem hat sie spezifische Themen wie Rassismus und sexuelle Belästigung genutzt, damit die Leser eine Verbindung mit dem Text haben können, weil diese Themen aktuelle Probleme in der Gesellschaft sind. Im Großen und Ganzen hat die Satire der Autorin den Lesern geholfen, die Gesellschaftskritik zu verstehen.


Literatur

Hollstein, Walter. “Vom Singular Zum Plural: Männlichkeit Im Wandel - Essay.” Bpb.de, 24 Sept. 2012, www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/144849/vom-singular-zum-plural-maennlichkeit-im-wandel-essay/. Accessed 6 June 2023.

König, Franz-Josef. “Der Neue Mann.” Männer Im Aufbruch, 27 Feb. 2023, maennerscout.de/2023/02/27/der-neue-mann/. Accessed 14 June 2023.

Kreuz, Roger J., and Richard M. Roberts. “On Satire and Parody: The Importance of Being Ironic.” Metaphor and Symbolic Activity, vol. 8, no. 2, June 1993, pp. 97–109, https://doi.org/10.1207/s15327868ms0802_2. Accessed 6 July 2023.

Liebich, Jens. “Das Experiment von Der Politisch Korrekten Satire - „Ciao“ Ist Johanna Adorjáns Streichzarte Gesellschaftskritik Für Jedermann/-Frau: Literaturkritik.de.” Literaturkritik.de, Feb. 2022, literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=28570. Accessed 7 June 2023.

Perel, Esther. “Rethinking Infidelity ... A Talk for Anyone Who Has Ever Loved.” Www.ted.com, 21 May 2015, www.ted.com/talks/esther_perel_rethinking_infidelity_a_talk_for_anyone_who_has_ever_loved/transcript?language=en. Accessed 7 June 2023.

Perse, Elizabeth M, und Jennifer L Lambe. Media Effects and Society. London New York Routledge, 2017.

Ritchie, Tom. “What Is It like to Live and Work in Berlin.” Raconteur, 27 Mar. 2023, www.raconteur.net/global-business/what-is-it-like-to-live-and-work-in-berlin. Accessed 2 Aug. 2023.

vom Orde, Heike. Geschlechterdarstellungen in Den Medien: Eine Unendliche (Klischee-)Geschichte. Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz, 2020, www.bzkj.de/resource/blob/155816/f9156dc487f0f58bd46b7ff7e855c9bf/20202-geschlechtsdarstellungen-in-den-medien-data.pdf.


Owen Meunier is a graduate student at the University of Toronto. This work was written he was completing his undergraduate degree at the University of Toronto. 


Picture: Masks by Emil Nolde. Source: Wikimedia Commons. Public Domain.

 

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