Eine kritische Untersuchung der hegemonialen Maskulinität
Eine kritische Untersuchung der hegemonialen Maskulinität in Johanna Adorjáns Ciao (2021)
Chelsea Lahaie
Abstract
Maskulinität ist ein wichtiges Thema in unserer gegenwärtigen Gesellschaft. Es gibt viele verschiedene Arten von Maskulinität und manche davon werden stark kritisiert, während andere weithin und ungefragt akzeptiert werden. In dem neu veröffentlichten und satirischen Roman Ciao von Johanna Adorján ist Maskulinität eines der Hauptthemen. Das Buch fokussiert sich spezifisch auf hegemoniale Maskulinität, eine Art von Maskulinität, die charakterisiert ist durch die Dominanz von Männern, die Überordnung von Männern über Frauen, und die hierarchische Überlegenheit der hegemonialen Männer über andere Männer. Die Autorin kritisiert diese Art von Maskulinität, indem sie hegemoniale Figuren als unsympathisch darstellt. Am Ende des Romans erfahren diese Männer aufgrund ihrer Maskulinität einen beruflichen Abstieg. Gleichzeitig werden Figuren, die keine hegemoniale Maskulinität vertreten, erfolgreicher. Auf diese Weise zeigt die Autorin, dass nicht alle Arten von Maskulinität in unserer gegenwärtigen Gesellschaft akzeptierbar sind. Die Welt verändert sich und Leute müssen sich mit ihr verändern, um einen Platz in der Zukunft zu haben.
Im Roman Ciao von Johanna Adorján ist das Thema Maskulinität in vielen Bereichen präsent. Maskulinität wird definiert als, “the symbolic, embodied, performative, and practiced natures of real engendered [men]” (Gutmann 2). Laut einer anthropologischen Studie von Stanley Brandes aus dem Jahr 1980 gibt es zwei Faktoren, die zentral für Maskulinität sind: der Platz der Männer in der sozialen Hierarchie und das Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Das heißt, dass Maskulinität nicht nur mit dem Verhalten von Männern zu tun hat, sondern auch mit dem Platz der Männer in der Gesellschaft. Es gibt aber nicht nur eine Art von Maskulinität, sondern ganz viele davon. Zum Beispiel die vier Connell'schen Männlichkeiten: hegemoniale Maskulinität, komplizenhafte Männlichkeit, untergeordnete Männlichkeit, und marginalisierte Männlichkeit (Scholz 270). Weitere Arten sind Hypermaskulinität, toxische Maskulinität, non-toxische Maskulinität, und sensible Maskulinität. Dieser Aufsatz wird sich hauptsächlich auf hegemoniale Maskulinität konzentrieren, aber es ist wichtig, zu verstehen, dass es viele verschiedene Arten von Maskulinität gibt. Ich argumentiere, dass hegemoniale Maskulinität in dem gegenwärtigen Roman Ciao stark kritisiert wird.
Hegemoniale Maskulinität ist eine Art von Maskulinität, die mit der Hegemonie verbunden ist. Die Hegemonie beschreibt “the active struggle for dominance … [and] ascendancy achieved through culture, institutions, and persuasion.” (Connell und Messerschmidt 832). Dieser Kampf für Dominanz wird charakterisiert durch die Überordnung von Männern über Frauen und die hierarchische Überlegenheit der hegemonialen Männer über andere Männer. Zuerst heißt das, dass hegemoniale Maskulinität eine Sammlung von Praktiken ist, die es den Männern ermöglicht, ihre Dominanz über Frauen fortzusetzen (Connell und Messerschmidt 832). Laut Demetriou ist diese Art von Hegemonie eine externe Hegemonie (341). Praktiken wie die Unterstützung des Patriarchats, die Kontrolle der Politik, und die unbestrittene Führung der Familie unterstützen diese Dominanz (Demetriou 341). Deshalb ist hegemoniale Maskulinität eine Ideologie, die die globale Unterordnung der Frauen legitimiert (Connell und Messerschmidt 832). Zusätzlich sind diejenigen, die hegemoniale Maskulinität vertreten, auch durch ihre Dominanz gegenüber anderen Männern charakterisiert; diese Art von Maskulinität erfordert, dass andere Männer als weniger wert gesehen werden. Demetriou nennt diese Art von Hegemonie eine interne Hegemonie (341). Praktiken wie die politische und rechtliche Diskriminierung schwuler Männer unterstützen diese Dominanz (Demetriou 341). Deshalb ist hegemoniale Maskulinität eine Art von Maskulinität, bei der hegemoniale Männer dominant sind, sowohl über Frauen als auch über andere Männer.
Hegemoniale Maskulinität ist nicht die häufigste erscheinende Art von Maskulinität, aber es wird als die ideale Maskulinität in der Gesellschaft dargestellt. Laut Connell und Messerschmidt ist hegemoniale Maskulinität nicht statistisch normal, aber sie verkörpert die aktuell ehrenvollste Art, ein Mann zu sein (832). Dieser Punkt wird im Ciao umgedreht, um diese Art von Maskulinität zu kritisieren. Statt nur eine Figur darzustellen, die hegemoniale Maskulinität vertritt, vertreten fast alle männlichen Figuren hegemoniale Maskulinität und fast alle diese männlichen Figuren sind am Ende der Roman sowohl sozial als auch beruflich zerstört worden. Das zeigt, dass hegemoniale Maskulinität im Text stark kritisiert wird.
In dem Roman wird traditionelle hegemoniale Maskulinität von Hans Benedek, Johann Benedek, Michael Denninger und Walter Windisch vertreten. Hans Benedek, als Hauptfigur und gefragter Feuilletonist bei “der Zeitung”, repräsentiert diese Art von Maskulinität am stärksten. Sein Abturz am Ende des Romans ist auch der dramatischste im Vergleich zu anderen Figuren und deshalb wird sich dieser Aufsatz auf ihn fokussieren, um hegemoniale Maskulinität zu untersuchen. Um einen Kontrast zu Hans herzustellen, vertritt Lothar Herzig diese “neuen Männer, die plötzlich da waren…” (Adorján 52). Herzig, als fester freier Mitarbeiter von einem Konkurrenzblatt, ist das Gegenteil von Hans. Während Hans die zentralen Aspekte von hegemonialer Maskulinität reflektiert, repräsentiert Lothar die zukünftige Generation von Männern, die jetzt in unserer Gesellschaft zu sehen sind. Deswegen wird Herzig in diesem Beitrag auch diskutiert werden.
Hans ist ein perfektes Beispiel von hegemonialer Maskulinität, weil er die drei zentralen Aspekte dieser Art Maskulinität verkörpert. Zum Beispiel sollten Männer entsprechend dieser Ideologie, sowohl sozial als auch finanziell, dominant sein. Was Hans und seine gesellschaftliche Dominanz betrifft, erfahren die Leser schon in dem ersten Kapitel, dass “in den Kreisen, in denen [Hans und Henriette] verkehrten … Hans ein wichtiger Mann [war]” (Adorján 23). Hans ist nämlich ein berühmter und ausgezeichneter Feuilletonist, der für eine erfolgreiche und populäre Zeitung arbeitet. Er hat schon 20 Jahre dort verbracht und wird von der berühmten Feministin Xandi Lochner als ein Vorbild bezeichnet (Adorján 23). Diese Fakten reflektieren die Idee, dass sowohl Hans als auch Männer in der Gesellschaft dominant sind. Das Konzept der hegemoniale Maskulinität vertritt auch die Idee, dass Männer finanziell dominant sein sollten. Was die wirtschaftliche Überlegenheit von Hans betrifft, lernt man, dass Hans nicht nur sehr viel in seiner Stelle verdient, sondern auch, dass er Geld unehrlich verdient, indem er Quittungen für Kosten zur Erstattung vorlegt, die er nicht selbst bezahlt hat. Diese unehrliche Praxis von Hans unterstützt die Idee, dass er versucht, auch finanziell dominant zu sein.
Ein weiterer Aspekt der hegemonialen Maskulinität, den Hans vertritt, ist das Vorrecht von Männern gegenüber Frauen. Das wird mehrmals in dem Roman dargestellt. Zuerst denkt Hans, dass es völlig in Ordnung sei, dass Karen Rammesacker, eine Kollegin, die die gleiche Arbeit macht wie er, nur ein Drittel seines Gehalts verdient: “Er konnte sich nicht erinnern, je einen Satz von ihr gelesen zu haben, der schillerte" (Adorján 40). Dadurch legitimiert Hans die ungleiche Bezahlung von Frauen und gleichzeitig die Unterordnung der Frauen von Männern. Später, als Nikki von Halbstetten, eine weitere Kollegin von Hans, mit ihm das Porträt zu Xandi Lochner schreiben soll, realisiert Hans, dass “alle seine romantischen Gefühle für Nikki von Halbstetten weggeblasen [waren]” (Adorján 143). Stattdessen sah “Hans …sie in Gedanken eingereiht in die Formation wütender Frauen, die ihm und den anderen Männern auf dem gesellschaftlichen Schlachtfeld der Gegenwart gegenüberstanden” (Adorján 143). Hans ist entschlossen, den Artikel ohne ihre unnötige Hilfe zu schreiben. Auf diese Weise unterstützt Hans die Idee, dass Männer und Frauen Gegner sind, und dass der Erfolg des einen auf Kosten des anderen geht.
Zuletzt verkörpert Hans den Glauben von hegemonialer Maskulinität, dass andere Arten von Männern untergeordnet sind. Die Beziehung zwischen Hans und Lothar Herzig zeigt, wie hegemoniale Maskulinität andere Männer als weniger wert erachtet. Hans glaubt, dass der erfolgreiche Instagram-Account von Herzig nicht ernst gemeint ist und macht sich lustig über die Sprüche und Fotos, die Herzig dort postet. Obwohl Lothar Herzig längst Millionen Follower auf Instagram hat, behandelt Hans Lothar, als ob er weniger wert sei. Später, als Herzig meint, dass “über [Xandi Lochner] ist doch eigentlich alles gesagt”, denkt Hans “ja, aber nicht von mir” (Adorján 60). Das zeigt, dass Hans seine eigene Meinung unverzichtbar findet, und dass er glaubt, dass andere gerne seine Meinung hören wollen. Hans denkt, dass seine Meinung viel wichtiger als die Meinungen von anderen Männern ist. Im Kapitel 7, als Hans vor dem Kino stand, “dachte Hans an Lothar Herzig und ärgerte sich” (Adorján 80). Lothar ist ein Mann, den Hans aufgrund der von ihm repräsentierten Maskulinität nicht respektiert. Das zeigt, dass Hans andere Arten von Männern untergeordnet findet.
Es ist also deutlich zu sehen, dass Hans ein gutes Beispiel von hegemonialer Maskulinität ist. Er glaubt, dass Männer in der Gesellschaft dominant sind, dass Männer Frauen gegenüber bevorzugt werden sollten, und dass andere Arten von Männern untergeordnet sind. Die Autorin benutzt die Figur von Hans, um diese Art von Maskulinität stark zu kritisieren. Das ist erreicht, indem Hans am Ende des Romans aufgrund seiner Maskulinität alles verliert. Ihm wird die Möglichkeit, das Porträt über Xandi Lochner zu schreiben, weggenommen. Stattdessen wird er durch Niki von Halbstetten ersetzt (Adorján 236). Hans verliert auch seine prestigeträchtige Stelle bei “der Zeitung” und wird zum Onlineredakteur degradiert. Eigentlich werden alle Figuren, die hegemoniale Maskulinität vertreten, irgendwie “gecancelt”, um zu zeigen, dass hegemoniale Maskulinität in unserer gegenwärtigen Gesellschaft nicht mehr weithin akzeptiert ist.
So wird neben Hans auch Michael Denninger, ein erfolgreicher Talkshowhost und ein Held von Hans, wird öffentlich kritisiert und bloßgestellt von der berühmten Feministin Xandi Lochner bloßgestellt (Adorján 155). Er und seine berühmte Talkshow “Ois Bonanza” werden gecancelt aufgrund dessen, wie er als hegemonialer Mann mit Frauen umgeht. Ebenso wird Walter Windisch, der Ressortleiter von Hans, ein Rassist genannt, weil er das N-Wort in einem Zitat ausgesprochen hat (Adorján 237). Windisch verliert dadurch seine Stelle als Ressortleiter und wird durch eine Frau, Marieke von Kurthy ersetzt. In einem Gespräch mit Hans kommentiert Windisch: “Damit sind wir raus, Hans” (Adorján 237). Zuletzt wird auch der Vater von Hans, Johann Benedek, metaphorisch geschwächt, da er einen Schlaganfall erleidet. Am Anfang des Romans erzählte Hans, dass “sein Vater … überall und immer Chef gewesen war. Tagsüber in seinem Architekturbüro, das er gegründet hatte, das seinen Namen trug. Abends zu Hause” (Adorján 49). Das zeigt die hegemoniale Maskulinität von Johann und die männliche Dominanz gegenüber Frauen, die der Vater von Hans verkörpert. Aber am Ende des Romans liegt er schwach und hilflos im Bett, als ob seine hegemoniale Maskulinität auch stirbt.
Im Gegensatz zu diesen Männern erfährt Lothar Herzig am Ende des Romans zunehmenden beruflichen Erfolg. Während Hans degradiert wird, bekommt Herzig eine Stelle bei “der Zeitung” (Adorján 254). Und obwohl es nicht direkt gesagt wird, ist es wahrscheinlich, dass Herzig die alte Stelle von Hans bekommen hat, weil er mit Frau Kramer das Büro von Hans angeschaut hat (Adorján 240). Dass Lothar Herzig noch erfolgreicher wird, während die hegemonialen Männer alle berufliche Absteige erfahren, zeigt, dass die neuen Männer gefeiert werden, während Männer, die hegemoniale Maskulinität repräsentieren entlassen werden. Aufgrund all dieser dramatischen sozialen und beruflichen Abstürze ist deutlich zu erkennen, dass die Autorin hegemoniale Maskulinität stark kritisiert. Das konsistente Resultat des Ausdrucks von hegemonialer Maskulinität ist die totale Ablehnung dieser Männer in der Gesellschaft, in der sie leben. Andererseits ist das Resultat ein neuer Mann zu sein, Erfolg. Die Autorin zeigt, dass die Welt sich verändert und dass Leute sich mit ihr verändern müssen, um einen Platz in der Zukunft zu haben.
Literatur
Adorján, Johanna. Ciao. Kiepenheuer & Witsch, 2021.
Brandes, Stanley. Metaphors of masculinity: sex and status in Andalusian folklore. University of Pennsylvania Press, 1980.
Connell, Daniel J., und Esther De Dauw, Editors. Toxic Masculinity: Mapping the Monstrous in Our Heroes. University Press of Mississippi, 2020.
Connell, R. W., und James W. Messerschmidt. “Hegemonic Masculinity: Rethinking the Concept.” Gender & Society, vol. 19, no. 6, 2005, pp. 829–59, https://doi.org/10.1177/0891243205278639
Demetriou, Demetrakis Z. “Connell’s concept of hegemonic masculinity: A critique.” Theory and Society, vol. 30, no. 3, 2001, pp. 337-61.
Gutmann, Matthew. “Masculinity”. The Cambridge Encyclopedia of Anthropology. Hg. von Felix Stein., 2021, http://doi.org/10.29164/21masculinity.
Scholz, Sylka. “Männliche Herrschaft”. Berliner Journal für Soziologie, no. 16, 2006, pp. 265-74, https://doi.org/10.1007/s11609-006-0020-6.
Chelsea Lahaie is an undergraduate student at Ottawa University.
Picture: “This bathroom is for MEN!” by https://www.flickr.com/photos/pr1001/. Licensed under CC2.0.